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NZZ vom 15. August 2013

«Piz5» – ein Magazin für Kinderzeichnungen
Zürichs illustrierteste Illustrierte

Seit letztem Herbst produziert eine Grafikerin im Zürcher Kreis 5 ein regelmässig erscheinendes Heft mit Kinderzeichnungen. Die Originale für «Piz5» entstehen im Kindertreff und in Horten.

Während im Stadtzürcher Industriequartier das Nachtleben pulsiert, wird in den Betten wild geträumt: Valdrina sieht einen Alien, Manja fliegende Hasen und Elia eine gigantische Popcorntüte. Sundis begegnet lachenden Pommes frites, Maddalena einer Meerjungfrau, Juri einem Kirschen essenden Elefanten und Quëndresa möglicherweise sich selber mit Prinzessinnenkrone und Hund. «Im Traum» lautet das Thema der ersten von bisher drei Ausgaben von «Piz5», die seit vergangenem Herbst erschienen sind.

Integration fördern
Das Thema setzt die Redaktion, bestehend aus Emanuel Tschumi und Anna Albisetti; er Grafiker, sie Grafikerin und Fachhochschuldozentin, beide wohnhaft im Kreis 5. Die Zeichnungen stammen aus dem Kindertreff Viadukt, einem niederschwelligen Betreuungsangebot in einem der Bögen des Wipkinger Viadukts, und aus vier Horten im Quartier. Im Kindertreff und etwas weniger ausgeprägt in den Horten ist der Anteil von schwach geförderten Kindern sehr hoch. Sie sind es, welche Anna Albisetti mit dem Heft in allererster Linie ansprechen will: «Für diese Kinder ist ‹Piz5› sehr wichtig, sie erhalten im Heft eine Plattform und begegnen sich darin.»

Juri Macchi: Ein Kirschen essender Elefant.(Juri Macchi)
In der zweiten Ausgabe – erneut ein schön gestaltetes Heft mit knapp fünfzig Seiten – hatten sich die Zeichner und Zeichnerinnen mit dem Thema «winzig und riesig» auseinandergesetzt. Die Erbauer des Prime Towers und die Migros hätten ihre helle Freude am Inhalt gehabt: Das höchste Gebäude der Schweiz und der Hauptsitz des Grossverteilers animierten zum Beispiel Aryan, Sundis, Kevin und Attilio zu einer ganzen Reihe von imposanten Abbildungen. Eindrücklich ist auch Elisabeths Dinosaurier; und schon fast reif für die Galerien-Hochburg auf dem Löwenbräuareal: Jamils Angsthase.
«Zeichnen ist marginal»
(Tim Gabathuler)
Ganz von alleine kommt die Fülle des Bildmaterials nicht zusammen. «Null Betreuung bringt keine Zeichnungen», sagt die «Piz5»-Chefredaktorin. Zur Motivation hat sie im Kindertreff und in den Horten je einen Briefkasten aufgehängt, dem die Kinder ihre Zeichnungen einverleiben können. Daneben finden sich auf einem Zettel das aktuelle Thema und ein Werkzeugkasten mit Papier und Stiften. Jedes Kind kann pro Heft maximal drei Zeichnungen einwerfen, mindestens eine wird veröffentlicht. Soeben erschienen ist Heft Nummer drei mit dem Thema «Sachen machen». Hier kommen ein paar geschlechtsspezifische Präferenzen zum Tragen. Während Jasmin, Bora, Nicole und Iara Blumen giessen, pflücken oder binden, Lisa sich kämmt und Marina Katze-und-Maus-Disco spielt, sind viele Buben vom Fussball inspiriert. Sidars Messi, Danieles Nike-Schuh und Jamils «FCZ gewinnt 2:0 gegen GC, und es schneit» zeugen von dieser Passion.
Die Präsenz im Heft motiviert dazu, die etwas vergessengegangene Tätigkeit des Zeichnens zu reanimieren, dies wiederum freut die Herausgeberin. «Zeichnen hat eine grundlegende Bedeutung, spielt im Kinderalltag aber zunehmend eine marginale Rolle», sagt Albisetti bedauernd, «es gibt heute tausend Möglichkeiten, sich anderweitig zu beschäftigen.» Naheliegenderweise sind die dominierenden Ablenkungsinstrumente regelmässige Sujets in den «Piz5»-Briefkästen. So schaffte es etwa Alessias «Computer auf Rädern zum TV-Schauen» ebenso ins Heft wie das noch nicht einmal in den Läden anzutreffende iPhone 6 von Kevin.

Nicht kostendeckend
Finanziell ist «Piz5» bis jetzt keine Wundermaschine. Die Produktionskosten übersteigen die Einnahmen aus dem Verkauf der rund 200 Exemplare zu 5 Franken an 10 einschlägigen Adressen im Industriequartier – vom Käseladen über den Coiffeursalon bis zur Cafébar. «Piz5» hat zwar einige Beiträge erhalten, etwa von PSP, der Bauherrin auf dem Löwenbräuareal, oder aus dem Rahmenkredit Langstrasse. Kostendeckend ist das alles noch nicht. Der Elan wird dadurch nicht gebremst, weitere Hefte sowie die dazugehörigen, schon fast traditionellen Vernissagen sind geplant, und bereits hat das Konzept den Sprung in die Hauptstadt geschafft. Seit kurzem gibt es auch «Piz Bethlehem-Bümpliz», eine Ausgabe für den Zürcher Kreis 4 ist angedacht.

Neu wird zur Vorbereitung, Erweiterung und Vertiefung vor jeder neuen Nummer ein Workshop angeboten, der die Kinder «aktiv und reflexiv an Zeichnen und Anschauung heranführen und so ihr Bildpanorama erweitern soll», wie die «Piz5»-Bergführerin ihre Ziele umschreibt.

Beitrag von Adrian Krebs